Vom Führen und geführt werden

Gemeinplätze über die Wichtigkeit von Führung in einer sich rapide verändernden Welt und darüber, wie schwierig alles ist heute und wie einzigartig und wie herausfordernd zur gleichen Zeit – sie werden nicht helfen. Vielmehr ist zu fragen: Was bedeutet das denn konkret? Was ist zu tun für Führungskräfte und solche, die es werden wollen?


   Natürlich ist es richtig und wichtig, sich nichts vorzumachen. Die Welt dreht täglich schneller. Alle Nase lang wird eine neue Sau durchs Dorf getrieben. Wir kommen kaum noch hinterher, auch nur die wichtigsten Trends mitzubekommen und halbwegs zu verarbeiten. Mindestens kommt uns das so vor. Und wie uns unsere Welt erscheint ist auch ein Faktum, selbst wenn es objektiv vielleicht ganz anders ist.

   Das ist also gut zu wissen. Aber wir reden hier von Führung und geführt werden. Und da sind wir einerseits tief im Subjektiven. Andererseits aber bei Prozessen, die zwischen Menschen stattfinden. Hand aufs Herz: Gibt es Grund zu der Annahme, das der Mensch an sich ein anderer ist als, sagen wir, vor 50 Jahren, bevor wir aus Treibern von Entwicklungen immer mehr zu Getriebenen wurden?

   Was zwischen und für Menschen wichtig ist in einem Unternehmen, das ist, wenn wir über Führung reden, von beruhigender Konstanz. Leider gilt das auch für die Fehler, die dabei gemacht werden. Das ist der beunruhigende Teil. Was sich geändert hat, das ist die Geschwindigkeit und Gnadenlosigkeit, mit der Führungsfehler oder gar fehlende Führung heute von den Mitarbeitern, vom Markt und von der Konkurrenz bestraft werden.

   Viel zu selten fragen Führungskräfte konsequent genug: Was sind denn die spezifischen Herausforderungen, vor denen unser Unternehmen steht? Wie heißen die Themen für meinen Bereich? Und was passiert hier voraussichtlich in der nahen und mittleren Zukunft?

   Das klingt möglicherweise trivial. Aber so ist das oft mit den Dingen, die wir übersehen oder vernachlässigen. Sie sind nicht wirklich schwierig oder unüberschaubar oder unbeherrschbar. Sie werden das alles nur, weil und wenn wir sie unterschätzen und dann alles auf einmal machen müssen.

   Mit anderen Worten: Führung besteht heute - wie eigentlich immer schon - vor allem darin, sehr pragmatisch, sehr handfest, sehr ‚geerdet’ an alles heranzugehen, wirklich an alles.

   Das bedeutet, ein Riesenthema wie „Digitaler Wandel“, das uns schon durch seine schiere Größe verzagt und mutlos machen kann, in viele kleine Themen herunterzubrechen, mit denen wir sehr wohl umgehen können. So kann es uns gelingen, unsere Organisation, unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tatsächlich vorzubereiten, anzuleiten, zu stärken, mit einem Wort: zu führen. Das ist also eine Kernaufgabe von Führung heute: Große Aufgaben so vorzubereiten, das zeitlich wie fachlich ‚machbare’ Pakete entstehen.

   Vor wenigen Jahren veröffentlichte McKinsey eine Studie mit dem Titel ‚LEADING IN THE 21ST CENTURY’. Was dort als Kernergebnis zu lesen ist, kann stehen bleiben:

 

Es ist oft festgestellt worden, dass die Prinzipien der Führungskunst zeitlos sind, dass sie auf unveränderlichen Wahrheiten beruhen. Aber ... was wir immer häufiger hören ist, wie unterschiedlich sich alles anfühlt im Vergleich zur Zeit zehn Jahre zuvor. Führungskräfte sagen uns, dass sie in einer verwirrend neuen Umgebung arbeiten, mit wenig Sicherheiten, erhöhtem Tempo und komplexeren Entwicklungen. Viele geben zu: Sie sind überwältigt.“ (1)

 

   Im Grunde hat sich daran, was Führung leisten soll, nichts grundlegend geändert. Aber die Führungskräfte selbst sind tief verunsichert. Es ist eben nicht getan damit, die guten alten Restrukturierungen durchzuführen und dann wieder für eine gewisse Zeit Ruhe zu haben. Denn heute erleben wir: Die eine Welle ist noch gar nicht abgeebbt, geschweige denn wirklich verarbeitet, schon kommt die nächste. Und die nächste. Und ...

 

(1)   http://www.mckinsey.com/global-themes/leadership/leading-in-the-21st-century (27.04.2017)

 

 

 

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    Um damit einigermaßen fertig zu werden, bedarf es eines intensiven Umgangs mit sich selbst. Es geht dabei nicht um neue Führungstechniken oder Kalendersprüche. Es geht um erhöhte Achtsamkeit, um genaues und kritisches Hinschauen auf die eigenen begrenzten Ressourcen, Überzeugungen, Verhaltensweisen und Glaubenssätze.

   Das fordert Führungskräfte nicht wenig. Aber es führt direkt zurück auf einen dieser ‚ewigen’ Grundsätze guter Führung. Denn andere zu führen bedeutet ja immer auch, Vorbild zu sein. Wenn Führungskräfte sich also bedroht, gestresst und überfordert fühlen – wie viel mehr gilt das dann für ihre Mitarbeiter? Wenn die Führungskräfte keine rechte Orientierung mehr haben – wohin wollen sie dann führen?

   Um diese Probleme zu erkennen und in einer beliebigen Organisation anzugehen, braucht es keine besonderen Untersuchungen oder tiefgründigen Analysen. Wir können das sofort sehen, wenn wir wollen, jeden Tag, in jedem Unternehmen.

   Warum ist das so bedeutend? Weil es schon schwierig genug ist für Führungskräfte wie Mitarbeiter, die ganz normalen Aufgaben zu bewältigen. Wenn dann aber immer mehr andere Sorgen dazukommen, geht viel Energie oft nutzlos verloren.  Die Fragen sind so naheliegend wie beunruhigend: „Bin ich eigentlich noch qualifiziert? Wie lange noch? Wer sagt mir, was ich morgen brauche? Habe ich dann überhaupt noch einen Job? Sollte ich ... müsste ich ...?“

   Wie selbstverständlich wird erwartet, dass sich alle hoffnungsfroh und optimistisch den ‚Herausforderungen’ stellen. Wie soll jemand aber eine positive Grundhaltung und den Optimismus entwickeln, aus denen erst Kreativität entstehen kann, wenn seine ganz realen Sorgen und Nöte nicht gesehen werden? Und wenn die eigenen Führungskräfte das nicht vormachen (können)? Und deren Chefs? Bis ganz nach oben im Unternehmen?

   Um diese Probleme zu erkennen und in einer beliebigen Organisation anzugehen, braucht es keine besonderen Untersuchungen oder tiefgründigen Analysen. Wir können das sofort sehen, wenn wir wollen, jeden Tag, in jedem Unternehmen. Warum ist das so bedeutend? Weil es schon schwierig genug ist für Führungskräfte wie Mitarbeiter, die ganz normalen Aufgaben zu bewältigen. Wenn dann aber immer mehr andere Sorgen dazukommen, geht viel Energie oft nutzlos verloren.  Die Fragen sind so naheliegend wie beunruhigend: „Bin ich eigentlich noch qualifiziert? Wie lange noch? Wer sagt mir, was ich morgen brauche? Habe ich dann überhaupt noch einen Job? Sollte ich ... müsste ich ...?“

   Wie selbstverständlich wird erwartet, dass sich alle hoffnungsfroh und optimistisch den ‚Herausforderungen’ stellen. Wie soll jemand aber eine positive Grundhaltung und den Optimismus entwickeln, aus denen erst Kreativität entstehen kann, wenn seine ganz realen Sorgen und Nöte nicht gesehen werden? Und wenn die eigenen Führungskräfte das nicht vormachen (können)? Und deren Chefs? Bis ganz nach oben im Unternehmen?

   In einer solchen Situation ist dann jeder auf sich selbst zurückgeworfen und nur noch mit sich beschäftigt. Einen größeren Gegensatz zum doch überall geforderten ‚globalen Denken’ ist kaum denkbar.